Klostergarten

Der Mensch hat ja Himmel und Erde
und die ganze übrige Kreatur schon in
sich selber und ist doch eine ganze Gestalt,
und in ihm ist alles schon verborgen vorhanden.

Hildegard von Bingen

Unser Wissen über Klostergärten beruht auf dem Studium archäologischer Funde von Pflanzenmaterial, das sich in verkohlter Form, unter der Vulkan Asche oder unter anderen günstigen Bedingungen konserviert hat. Gartenelemente wie Beetbegrenzungen und Irrigationssysteme sind ebenso aufschlussreich wie die Gemälde, Abbildungen, architektonische Pläne und Textquellen der Zeit.

In den Bibliotheken und Scriptorien der mittelalterlichen Klöster wurden Texte aus allen Wissensgebieten gesammelt, kopiert und hergestellt. Die Klöster, insbesondere die Benediktinerklöster kümmerten sich um erkrankte Mitbrüder und Mitmenschen. Daher halfen heilkundliche Traktate bei der Auswahl der Heilpflanzen für die Kräutergärten.

Pflanzen betrachtete man als Spiegel und Gleichnis des Heilsgeschehens, als Indikator für gute wie böse Mächte. Die Grenzlinien zwischen den Aspekten Heilpflanze, Zierpflanze, Nutz- oder Gewürzpflanze und Symbolpflanze verliefen häufig fließend oder lösten sich auf, da ein Aspekt den andern bedingen konnte. Hatte ein Kraut seinen Heilnutzen „bewiesen“ oder erblühte in einer besonderen Farbe, konnte es leicht Gegenstand gläubiger Verehrung werden oder als Symbol Bedeutung erlangen: so wurde die Marien-Lilie oder weiße Lilie (Lilium candidum) in den Stand einer Verkündigungsblume erhoben, doch treffen auch alle andern Aspekte ebenfalls auf sie zu: ihre Bedeutung als Zierde und Schmuck ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass alle Pflanzen Geschenke Gottes an die Menscheit sind. Die Zwiebel der Lilie ist eßbar, also Nutzpflanze. Ihre Heilwirkung schon bei den Römern beschrieben und bis heute anerkannt.

Im ältesten erhaltenen mitteleuropäischen Klosterplan von Sankt Gallen, ein Benediktinerkloster aus dem Jahr 816, sind die Anlagen von 3 Nutzgärten an der Ostseite der Klosteranlage eingezeichnet: 18 lange schmale Beete waren für Gemüse vorgesehen, der „hortus“ . Im hortus sollten laut Plan Zwiebel, Sellerie, Porree, Koriander, Dill, Schlafmohn, Rettich, Mangold, Knoblauch, Schalotte, Petersilie, Kerbel, Salat, Bohnenkraut, Pastinak, Kohl und Schwarzkümmel wachsen.Darauf folgte der Friedhof, gleichzeitig Obstbaumwiese für Apfel, Birne, Pflaume, Speierling, Mispel, Lorbeer, Eßkastanie, Feige, Quitte, Pfirsisch, Haselnuß, Walnuß, Mandel, Maulbeere. Es folgten das Arzthaus und der Heil-Kräutergarten mit 16 Beeten. 1

Nicht immer reichten die Anbauflächen in Klöstern zur Versorgung aller Einwohner aus, auch wurde auf Flächen außerhalb des Geländes zurückgegriffen. So gelangten Klosterwissen um Pflanzen und Anbautechniken unters Volk. Einige Heilpflanzen konnten wegen ihres massenhaften Auftretens schon immer außerhalb der Klostermauern gesammelt werden; zum Beispiel Gundelrebe (Glechoma hederacea) und Gänsefingerkraut (Potentilla anserina) Beide von der heiligen Hildegard besonders erwähnte Kräuter.

Im Lauf des zwölften Jahrhunderts forderte die Kirche die Rückbesinnung auf den Ordensauftrag der Kontemplation. Nonnen und Mönche durften nicht mehr als ärzte tätig werden. Das Herstellen von überwiegend pflanzlichen Arzeneimitteln blieb jedoch weiterhin erlaubt. Bis heute verdanken wir den Klöstern Melissengeist, Karmelitergeist und weitere Wohltaten. Viele der damaligen empirischen Kenntnisse treffen heute noch zu, unsere Kenntnisse heute werden jedoch auf analytischen Wege gewonnen.

Aber eine Pflanze in kleinste Teilchen zerlegt, gibt immer noch keinen Aufschluß darüber, was eine Pflanze ist. Ihr schier unendlich kombinierbarer Formenkanon aus Linien, Spiralen, Verästelungen, ihr zyklisches Erscheinen, ihr labiles, mobiles, lebendiges Gleichgewicht — Wassergehalt und Inhaltstoffe lassen auf eine innige „Verwandtschaft“ mit dem Menschen schließen, eine Kohärenz, die auch in den modernen Naturwissenschaften thematisiert wird.

Wie war es der heiligen Hildegard von Bingen und den Generationen vor und nach ihr möglich, ein Wissen um Pflanzen, Heilkunde, Naturkunde zu erlangen, damit Erfolge zu erzielen und es schriftlich weiterzureichen?

Entwicklungsgeschichtlich sind Pflanzen unsere Vorfahren, Sauerstoff-Bereitsteller und das wichtigste Glied unserer Nahrungkette. Seit 5000 Jahren gibt es schriftliche Belege zum Gebrauch von pflanzlichen Arzeneimitteln. Durch Beobachtung und Nachahmung von Tieren war und ist es möglich, Wissen über giftige oder heilende Pflanzen zu erlangen. Neugiede, trial and error-Verfahren, Verführung durch Düfte, die einerseits unsichtbar molekular um uns herumperlen, selber aber in ihrer chemischen Zusammensetzung komplexe Substanzen mit heilenden Wirkungen sind. Nach Hippocrates entwickelte Galenus (200 nach Christus) die Humoraltheorie. Sie korrelierte die Körpersäfte mit den Urelementen und den Qualitäten warm, kalt, trocken, feucht. Galenus heilte mit Pflanzen. Bis ins 19. Jahrhundert wirkte seine medizinische Krankheitslehre. Ab dem 10. Jahrhundert begann in Salerno die Geschichte der modernen Medizin Westeuropas unter Berücksichtigung des nach Europa gelangten arabischen Wissens. Im ausgehenden Mittelalter blühte in Europa die Signaturenlehre, ein Interpertationsverfahren der Natur, das ähnliche Formen, überwiegend aus dem Pflanzenreich, mit ähnlichen Formen beim Menschen in Beziehung setzte. Bis heute finden wir Elemente davon in der antroposophischen und homöopathischen Behandlungsmethode. Bei den Bachblüten, in der Phytotherapie und selbst bei der klassischen Medizinherstellung wird mittelalterliches Wissen um Heilpflanzen genutzt. Wenn nun seit 5000 Jahren allen pflanzlichen Heil-Methoden eine gewisse Treffsicherheit nachgesagt wird, kann man daraus folgern, dass es noch viel mehr Methoden und Theorien geben kann und wird, die uns an die Qualität von Pflanzen annähern und uns an Selbsterkenntnis bereichern werden.

Der Klostergarten auf dem Dach

Es ist die unstillbare Sehnsucht eines visionären Königs nach Garten, der die Welt das siebte Weltwunder verdankt: „die hängenden Gärten der Semiramis“ in Babylon. Der Gartenplan bestand aus einem beeindruckenden Gewölbe von 120 Meter Seitenlänge, dicken Mauern und 25 Meter hohen Pfeilern, auf denen schließlich die Terassen mit den Bepflanzungen ruhten. Ohne den gewaltigen Unterbau, ohne die schier unendliche Mühe, hätte die Sehnsucht nach Garten in jenem Teil Mesopotamiens nicht verwirklicht werden können. Die Tradition der hängenden Gärten breitet sich seither ungebrochen aus: Wo die Böden nichts taugen oder mit Beton und Asphalt versiegelt sind, wird der Garten höher gelegt – auf den Balkon, auf das Dach, so wie es die Bundeskunsthalle nun auch tut.

Gefördert von Bionorica präsentiert die Bundeskunsthalle dort die Nachbildung eines mittelalterlichen Klostergartens. Darin wachsen originale Züchtungen, wodurch er zu einem hortus conclusus der besonderen Art wird. Einen Sommer lang Sie sind eingeladen, auf einem Dach unserer Welt an dem Zauber der Entfaltung und Verwandlung alter Heilpflanzen teilzunehmen.

Hier ist der historische und beschauliche Ort, um sich ein gutes Leben mit Familie, Nachbarn, Pflanzen und Tieren vorzustellen, neue Initiativen und Wohlstands-Alternativen auszuhecken, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen, damit ein effizientes Verhältnis zwischen den globalen und lokalen Interessen entstehen kann. Oder um sich schlicht in der geometrischen Anlage zu bewegen. Durch den reinen Heilpflanzenbestand strahlt sie eine andere Energie aus, als privaten Gärten, Parks, Wiesen oder botanische Gärten.

Deva Wolfram, Florenz 14.2.05

1 M. Carrroll Spillecke Hrsg., Der Garten von der Antike bis zum Mittelalter, Kulturgeschichte der antiken Welt, Bd. 57, Mainz, 1998, U. Willerding, S.225